Vom Schreiben schreiben
Früher oder später gerät der Autor an einen Punkt, an dem er, obschon etliche Themen zur Verfügung stehen, keines parat hat, dass genügend Substanz für einen ausreichenden Aufsatz bereit hält. Dies ist natürlich eine recht unangenehme Situation, denn sein kleinerer oder auch größerer Leserkreis erwartet sehnlich neuen Stoff. Der Autor blättert sich also durch sein Archiv, sichtet dies und verwirft das und muss am Ende feststellen, dass er für den heutigen Tag mit leeren Händen dasteht.
Nun ist guter Rat teuer. Keine Ereignisse zur Hand oder Ideen im Kopf, die erwähnenswert wären oder dem Anspruch des Autors gerecht würden. Nicht einmal spektakulär aufgeblasen und mit etwas Dramatik oder wahlweise auch Humor gewürzt, gäben die paar lustlos zusammen gekramten Alltagsbanalitäten irgendetwas her, dass des Aufschreibens auch nur annähernd würdig wäre. Auf seiner verzweifelten Suche nach etwas, dass sich zu Papier bringen lässt, mäandert der Autor gehetzt durch die verschlungenen Windungen seines leeren Hirns, dass sich allmählich und unaufhaltsam zu einem schlecht ausgeleuchteten, zugigen und ungemütlichen Nichts verdichtet.
Eigentlich ist jetzt der Moment gekommen, es mit Lyrik zu versuchen. Bekanntlich entsteht Lyrik, wenn sich das Gehirn in dunkelstem Gemütszustande gleichsam selbst auswringt und die heraussickernde Essence Absolue auf ein Substrat aus Verzweiflung und Trübsal fällt, um dort zu Reimen zu keimen. Man könnte den Herbstbeginn thematisieren. Ein Blick aus dem Fenster auf einen regnerischen Septembernachmittag gäbe einigen Anlass, ein paar weh- oder schwermütige Abschiedsoden an den Sommer aus dem Ärmel zu schütteln. Doch schon die bislang geschafften wenigen Zeilen scheinen konstruiert und triefen vor solch künstlicher Gefühlsimitation, dass sie nicht einmal einen Platz auf den eselsohrigen hinteren Seiten eines abgegriffenen Poesiealbums verdienen. So schlimm kann es also um das Gemüt des Autors nicht bestellt sein, denn sonst brächte er zumindest etwas brauchbare Lyrik für den unaufmerksamen und leicht zu begeisternden Leser zustande.
So gesehen ist es in der Tat ein großes Glück, wenn der Autor am einen oder anderen Tag besser nichts zu Papier bringt. Denn er würde das Geschriebene dieses Tages nur wenig später mit Grausen betrachten und sich ernsthaft fragen, was in ihn gefahren ist, solch unsinniges Zeug zu schreiben. Er würde vor sich selbst dastehen wie ein Hochstapler, der in der Hoffnung auf unverdienten Beifall dem Leser ein paar leere Worthülsen wie Erdnüsse hinwirft. Oder wie ein Fallensteller, der hofft, dass an seiner klebrig-schmalzigen Lyrikschleimspur, zusammengekocht aus sentimentalen Wortaneinanderreihungen, -verdrehungen und unsinnigen Zeilenumbrüchen der eine oder andere Gast hoffnungslos klebenbleibt.
Mit diesen Gedanken enden die Zeilen des Autors und er blickt nicht unzufrieden auf ein Resultat, das beweist, wie man in der Not auch aus nichts etwas machen kann. Frohgemut reibt er sich die Hände und zündet sich eine wohlverdiente Zigarette an, während er bei einer duftenden Tasse Espresso seinen eben geschriebenen Aufsatz noch einmal sorgfältig und mit großer Genugtuung redigiert. Als er nach der einen oder anderen Korrektur leidlich zufrieden ist, erhebt sich der Autor von seinem Werk und dunkelt das Licht im Arbeitszimmer ein wenig ab. Dann macht er es sich in seinem Sessel bequem und wartet darauf, dass die Falle zuschnappt.